Versteht sich der ND politisch? – Start einer Debattenserie des Ak ‚Gerechtigkeit & Globalisierung‘

Der Inhalt dieses Beitrages entspricht der persönlichen Meinung des Autors.

„Willkommen im Schlaraffenländle“ prangt ein großes Banner am alten Teil des Stuttgarter Hauptbahnhofes, der sich in eine Riesenbaustelle verwandelt hat, oder – je nach Sichtweise – in ein Megastadtentwicklungsprojekt. Ergebnis der Baden-Württemberg-weiten Volksabstimmung.

Rückblende. Der tiefgreifende Zwist im Musterländle brach im Sommer 2010 nach dem KMF-Kongress in Fellbach/Stuttgart massiv aus. Die allermeisten Württemberger ND‘er hatten Stuttgart 21 in der Kongressvorbereitung als unwesentlich und unerheblich abgetan. Kongressthema: „Gott, die Stadt und die Menschen“ klar verfehlt.

Diesen Sonntag gegen Mittag gibt es das Resultat der Mitgliederbefragung der zerzausten Sozialdemokratie zur GroKo. In einem Hintergrundbericht ist zu lesen, wie heftig die SPD in Stuttgart ringt. Der Stuttgarter Ortsvereinsvorsitzende hatte die Alternative mit einer frischen Tomate und einer Büchse Konserventomaten verglichen. Jetzt trifft er auf Bundestagsabgeordnete, eine frühere stellv. Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin im Ländle. Zur GroKo-Befürworterin meint er: „Man kämpfe doch gar nicht auf verschiedenen Seiten, sondern betrachte das Thema nur aus verschiedenen Perspektiven. “

Nun haben wir im ND das Glück, nicht akut über eine Koalition entscheiden zu müssen. Aber Zukunftsexistenzfragen beschäftigen Verantwortliche und Strategen mit wachsender Intensität. Auch in der größten oder zweigrößten Region. Die Nachwuchssorgen schlagen immer wieder durch, obwohl es doch um die inhaltliche Ausrichtung gehen soll. Versemmeln wir im ND vor lauter Zukunftssorgenperspektiven Chancen in der Gegenwart? Der ND, egal ob Verband oder Bund, hat nur eine Überlebenschance, wenn er – raus aus grauer Wände Mauern – sich in die Gesellschaft einmischt. Die Erkenntnis aus dem Entwicklungsprozess steht zur Debatte.

„Versteht sich der ND (als) politisch?“ ist die Devise einer Debattenserie, die der Ak ‚Gerechtigkeit & Globalisierung‘ in diesem Jahr durchführt.  Erklärtes Ziel des Kooperationsprojektes ist, mit Bundesgeschwistern in verschiedenen Regionen und Konstellationen über die Streitfrage der politischen Identität des Verbandes zu diskutieren und den Meinungsbildungsprozess innerhalb des Bundes zu befördern, ohne eine Entscheidung zu präjudizieren. Der Start ist jetzt in Stuttgart gewesen. Die nächste Debatte ist für MIttwoch auf dem Kongress in Dresden terminiert.

Start in der Region Württemberg

Eine interessante Runde hat der Regionalleiter in Schwaben zusammengetrommelt: Einer, der nach dem Zweiten Weltkrieg eingetreten ist, den Verantwortlichen für alle Stuttgarter Gruppen, einem Kritiker der letzten ND-Entscheidungssprozesse bis zum hauptberuflichen Bildungsreferenten der KSJ RoStu. Überhaupt Verbandkontinuitäten werden in der Langzeitperspektive sichtbar, treffen sich zwei ehemalige Geistliche Leiter der KSJ, der damals Priester, der andere Laie oder trifft der jetzige KSJ-Referent auf seinen Urvorgänger aus Anfang der Siebziger.

Diese Konstellation erleichtert eine schnelle Verständigung über die Grundposition. Klar gilt das Hirschbergsche Diktum zur „Bereitschaft, Kirche, Politik und Gesellschaft mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen“. Konsequenterweise schließe man sich zusammen, um. „als kritische Stimme in der Kirche und Gesellschaft“ politische Wirkung zu entfalten.

Aber was heißt dies konkret im Raum Stuttgart? Innerhalb der ND-Gruppen streiften die Mitglieder bisweilen politische Fragen. Aber auf der Regionalebene vermisste die Gesprächsrunde übergreifende gesellschaftliche Impulse. Bei der Recherche, was an politischen Inhalten der ND öffentlich machen könnte, gab es zwei Themenfelder.

Zwei politische Themen auf der Agenda

Die Rolle der persönlichen Gewissensentscheidung werde bei der letzten bischöflichen Kompromisslinie zum gemeinsamen Kommunionempfang von Katholiken und Protestanten weitgehend ausgeklammert, ereifern gleich mehrere. Die priesterliche Einzelfallbeurteilung sei schlicht realitätsfern. Betrachtet man die Gruppen, herrscht bei fast allen Älteren überall viel Aufgeschlossenheit für die konziliare Erneuerung. Aber eine tiefgreifende Resignation ist auch zu konstatieren. Impulse von der Kirchenleitung erwartet die wenigsten noch.

Ein zweiter Graben wird überdeutlich. Für die Jüngeren im Bund stellt sich das Problem überhaupt nicht mehr. Aber klar registriere und unterstütze die KSJ entsprechende Positionierungen, heißt es. Aber kirchenpolirtische Stellungnahmen reißen den Jugendverband eben auch nicht vom Hocker. Die politischen Aktivitäten entzündeten sich bei KSJ‘lerInnen, bei Unrechtserfahrungen im schulischen Umfeld und beim Einsatz für mehr Gerechtigkeit in globalen Kontexten. Gleich Samstag früh, verspricht der Regionalleiter, der auch für ‚pro concilio‘ aktiv ist, werde er eine Stellungnahme entwerfen und die Mitglieder kontaktieren.

Zweites Thema: Höheren Wellenschlag hatte auch der Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD ausgelöst. Auf dem Regionalrat gab es Proteste und eine Diskussion speziell über die negative Wahlempfehlung gegeben. Sympathien mit den völkischen Nationalisten teilt in der Runde keiner, aber gleichzeitig stößt das Top-Down auch auf Befremden. Wo öffnen sich im ND Diskussionsräume, in denen um politische Streitfragen „gerungen, vielschichtig, kontrovers, aber auch dialogisch und fair diskutiert werden kann“? Zwei Lösungswege entwickeln sich im Laufe des Gespräches: Bis zu einer nächsten regionalen Versammlung das Pro- und Kontra im Pfalzbrief zu erörtern und zweitens auf dem ND-Rat in Dresden die Kritik aus Württemberg anzubringen.

Ohnehin: Bei der Berichterstattung über Veranstaltungen in den Zeitschriften wünscht die Runde unisono, stärker die verschiedenen Perspektiven herauszuarbeiten. Vielfältigkeit und Diskussionsfreudigkeit sei eine Stärke des ND, die keinesfalls unter den Scheffel gestellt werden dürfe. Das erinnert dann doch verblüffend an die große Politik, wo der Ausgang auch ungewiss ist.

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