Tagesprophet #Donnerstag, 16. April

Der Inhalt dieses Beitrages entspricht der persönlichen Meinung des Autors.

Wir lassen den Mainzer AufbruchsKongress nicht sanglos und klanglos verstreichen. Ein ‚Tagesprophet‘ an alle Teilnehmer*innen und Interessierte enthält jeweils einen Fragebogen, Geistlichen Impuls und ein Quiz. Auf dem ND-Blog veröffentlichen wir den täglichen Fragebogen. Wer den ‚tagespropheten‘ bekommen möchte: Einfach eine Mail an kongress@nd-netz.de

Fragen zur Zeit: Wolfgang Kramer, Stuttgart

Aus Württembergs Hauptstadt kommt Wolfgang Kramer. Die Flüchtlingsinitiative Refugio, pro concilio, Pax Christi, ND: Er ist vielfältig aktiv und im Bistum gut vernetzt. Die Erneuerung der Kirche ist sein Anliegen. Außerdem leitet er die Region Württemberg.  

Hand auf‘s Herz: Erlebst du gerade die Zeit als Entschleunigung oder als puren Krisenstress? Was beschäftigt dich gerade?

Bei allen negativen Auswirkungen der Coronakrise, die mich traurig und mitfühlend machen, erlebe ich die Zeit der Entschleunigung auch positiv. Mich beschäftigt die Kernfrage, wie die Welt nach der Krise aussehen wird und was ich dazu beitragen kann, dass die Zeichen der Zeit verstanden werden.

Hat das Corona-Virus dein Leben umgekrempelt?

Ich gestalte meinen Alltag ohne den sonst üblichen Stress mit viel Ruhe und Zeit zum Lesen und Nachdenken.

Was ist derzeit der schmerzlichste Verzicht?

Dass ich meine drei Kinder, die mir am nächsten sind, zu Ostern nicht sehen konnte. Sie weigerten sich zu kommen und haben mich unter Hausarrest gestellt – in Sorge um ihren schon etwas älteren und mit einer Vorerkrankung belasteten Vater. Das schmerzt und rührt mich zugleich.

Was gibt dir Hoffnung?

Die Erfahrung meines bisherigen Lebens: Zum einen, dass Gott auch in der Krise gegenwärtig ist und unser aller Heil will. Zum anderen, dass der allergrößte Teil der Bevölkerung bereit ist, die einschneidenden Maßnahmen zu akzeptieren.

Wie kommst du durch die gottesdienstlose Zeit?

Ich habe mehr Zeit für die eigene Meditation und Selbstreflexion. Gelegentlich nehme ich an Fernseh- oder Internetgottesdiensten teil, ohne die „virtuelle Frömmigkeit“ und das „Mahl aus der Ferne“ über zu bewerten. Ich telefoniere mehr mit meinen Nächsten und mit Menschen, die meine Nähe suchen und mich brauchen.

Deine Lieblingsmusik?

Nach wie vor Mozart. Seine Musik verbindet auf einzigartige Weise Himmel und Erde. Die von Bach spielt schon im Himmel und die von Beethoven bringt die Schönheit des Irdischen zum Klingen. Die drei sind für mich die größten Komponisten aller Zeiten.

Hast du einen Literaturtipp für uns?

Lorenz Marti, Türen auf! Spiritualität für freie Geister, Herder 2019. Seine Thesen beschreiben m. E. in etwa die Spiritualität, die in und nach der der Coronakrise vonnöten ist. Lorenz Marti ist der Sohn des bekannten Schweizer Pfarrers und Schriftstellers Kurt Marti.

Was sollte man sich im Netz unbedingt anschauen?

Alle ND-Infos natürlich. Und gelegentlich die Expertise des Virologen Prof. Christian Drosten.

Was wird das Erste sein, was du nach der Corona-Krise zu deinem größten Vergnügen machst?

Meine Lieben und die engsten Freunde wieder in den Arm nehmen – und aus lauter Freude wieder auf den Arm nehmen. Und sie zu einem leckeren schwäbischen Festessen einladen – Seit´ an Seit´.

Wenn das Corona-Schlamassel einigermaßen überwunden ist: Welche Erkenntnis oder Lernerfahrungen sollte die Gesellschaft beherzigen?

Zum einen die Stärkung der demokratischen Grundordnung unseres sozial-ökologisch und marktwirtschaftlich ausgerichteten Rechtstaates mit der Verwirklichung aller Menschenrechte. Zum anderen der zügige Ausbau einer digitalen Infrastruktur ohne Preisgabe analoger Lebens-welten. Zum dritten die Produktion lebenswichtiger Güter (z.B. Medikamente) hierzulande oder in Europa, um die Abhängigkeit vom asiatischen Markt zu beseitigen.

Was muss dann in der Kirche anders geworden sein?

Das ängstliche Festhalten an überkommenen Strukturen und an zivilisatorisch – und jesuanisch – nicht mehr haltbaren lehramtlichen Positionen. Die stärkere Wiederbelebung der Kontemplation bzw. der Mystik sollte den „synodalen Weg“ zu einem neuen Reformkonzil ergänzen. Im Übrigen gilt das Wort Jesu mehr denn je: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“

Was wolltest du noch sagen …

Ich finde es super, dass der Kongress 2020 auf diese kreative Weise, wenn auch auf digitale Formate reduziert, stattfindet und dass er im nächsten Jahre – hoffentlich – in vollem Umfang in Mainz nachgeholt wird.

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