Marcus Heinrich von 3con Management Consultants berät die chemische Industrie.

Intelligenz ohne Gefühl

Der Hype um künstliche Intelligenz gebiert Übertreibungen. Im Franz-Hitze-Haus diskutierte die ND-Wirtschaftlergilde mit Experten, was dran ist, wo Gefahr dräut, wo KI längst Alltag ist. Und wie die technischen Entwicklungssprünge unser Leben und dessen Ethik verändern.

KI – gut für Fördermittel

1955 prägte der US-Informatiker John McCarthy den Begriff “Künstliche Intelligenz”. Ein Zauberwort, um für ein Forschungsprojekt Fördermittel loszueisen, wie Benedikt Lennartz von der Universität Münster in einem Arbeitskreis bei der jüngsten Tagung der Wirtschaftlergilde im Franz-Hitze-Haus bemerkte. Doch seine Magie hat KI erst seit der Marktreife von ChatGPT und anderen Sprachprogrammen so richtig entwickelt. “KI als Chance” war das Seminar in Münster überschrieben, aber dann ging es doch hauptsächlich um Fehleinschätzungen und Drohszenarios einer neuen Technik, die neuronal denken können soll. So wie der Mensch.

Theorie und Praxis

Die Arbeitskreisleiter Rosário Costa-Schott und Markus Grimm hatten Theoretiker, Praktiker und Opfer der KI eingeladen: Rainer Gottschalg, Fundamentaltheologe der Uni Münster, Benedikt Berger, Junior-Professor am Institut für Wirtschaftsinformatik der Uni Münster, Anna Maria Riedl, Sozialethikerin der Uni Bonn, Oliver Kamps und Benedikt Lennartz, InterKI Uni Münster, Marcus Heinrich, Consultant für die chemische Industrie und Peter Hölzl Schömann, Head of After Sales bei MediaSaturn.  

Jobkiller DeepL

ND-Mitglied Holger Knoblauch saß 10.000 Kilometer entfernt, im Nachtzoo von Singapur, wo er sich per Zoom in einen Arbeitskreis einwählte. Der Rechtsanwalt und Fachübersetzer ist direkt und negativ von KI betroffen. So schilderte er, wie 2017 DeepL die Übersetzungsbranche in Turbulenzen versetzte. Knoblauch sprach von “Disruptiver Umwälzung”.  400-seitige Fachübersetzungen, die vorher acht Übersetzer mehrere Wochen beschäftigten, ließen sich plötzlich in guter Qualität in zehn Minuten abrufen. So habe die KI-getriebene Übersetzungssoftware in wenigen Jahren viele Übersetzer arbeitslos gemacht, und ehemalige Kunden würden heute oft selbst übersetzen, Gerichte DeepL-Texte akzeptieren. Andererseits: KI-Übersetzer von DeepL, Google, Microsoft oder ChatGPT würden heute jedermann Zugang zu Fremdsprachen-Texten und Teilhabe an fremdsprachigen Diskursen erlauben. Ein Riesenfortschritt.

Bessere Automatisierung

Marcus Heinrich von 3con Management Consultants berät die chemische Industrie. Was früher Automatisierung hieß, habe durch KI einen neuen Schub bekommen, sagte er. Sie sei ein Produktivitäts- und Effizienzbooster der Industrie. Heinrich nannte Bereiche, wo KI-Systeme Vorteile hätten, etwa bei der Analyse von Schäden, der Kontrolle von Prozessen und dem teilautonomen Fahren von Anlagen. Allerdings warnte er vor Überschätzung: “KI hat Lernprobleme, ihr fehlt der Bezug zur Realität, sie hat keinen eigenen Antrieb, verdirbt sich selbst und hat keine Ethik.” Und sie vollbringe keine Wunder. Ein Bonmot von Thorsten Dirks, CEO der Telefónica Deutschland AG: “Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.”

Schneller im Callcenter

Praktische Vorteile sah Peter Hölzl Schömann, Head of After Sales in Services & Solutions bei MediaSaturn Deutschland, in KI-Anwendungen. Im Callcenter von MediaSaturn beantworte eine KI die ersten Anfragen der Kunden. Sie hat Zugriff auf die relevanten Daten, erledige ihren Job schneller als der Mensch und erhöhe die Kundenzufriedenheit. Nebenbei allerdings, musste er zugeben, auch den Zeitdruck für die Mitarbeiter, deren Arbeit von der KI um Routineaufgaben reduziert wurde. Auch für Hölzl Schömann ist die KI kein Menschen-Ersatz, sondern ein hocheffektives Instrument mit bemerkenswerten Sprecherkennungs-Fähigkeiten: “Es kann sehr gut verstehen, was Kunden wollen und ist leicht einstellbar.”

Alleswisser KI

“KI hat auf alles eine Antwort. Verändert das unser Gottesbild?”, fragte Rainer Gottschalg vom Seminar für Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie der Uni Münster. Er hat ein theoretisches Werk mit dem schmissigen Titel “Was nützt die Liebe in Gedanken?” geschrieben, mit dem wir an dieser Stelle mal ein kleines KI-Experiment durchführen.

Der Klappentext:

  • „Die Studie“, so heißt es in einer Zusammenfassung, „arbeitet über die komplexe Topografie kirchlicher Identitätskonstruktion die Ekklesiologie paradigmatisch als fundamentaltheologischen Traktat aus. Der theologisch-anthropologische Zugang markiert dabei „Gnade“ und „Freiheit“ als tragende Prinzipien. Durch die konsequente Entwicklung eines theologisch-anthropologischen Zugangs in die Ekklesiologie leistet die Studie zwei wichtige Beiträge. So holt das angebotene Methodendesign erstmalig die differenzierte Schwerpunktsetzung für die Reflexion auf die Kirche, die das Zweite Vatikanische Konzil definiert hat, wissenschafts- und disziplinentheoretisch ein. Der „Glaube“, als actus humanus verstanden, entfaltet darin eine rationale und soziale Architektur in der Spannung zwischen dem anthropologischen Prinzip „Freiheit“ und dem theologischen Prinzip „Gnade“, die es schließlich erlaubt, die Theologie der Freiheit nach Thomas Pröpper ekklesiologisch zu formatieren und in das Design einzupflegen.“

Frage an ChatGPT: Kannst Du das mal bitte in Jugendsprache bringen?

  • ChatGPT: Klar! Hier ist die Vereinfachung in Jugendsprache: Die Studie checkt, wie Kirche ihre Identität aufbaut, und macht daraus einen neuen theologischen Ansatz. Dabei geht’s vor allem um „Gnade“ und „Freiheit“, die als super wichtige Prinzipien gesehen werden. Zwei Dinge bringt die Studie: Erstens benutzt sie zum ersten Mal eine Methode, um zu zeigen, was das Zweite Vatikanische Konzil zur Kirche gesagt hat – aber halt aus wissenschaftlicher Sicht. Zweitens wird der Glaube als etwas verstanden, das Menschen aktiv tun, und das baut dann eine Art System auf, wo „Freiheit“ und „Gnade“ sich abwechseln. So kann man am Ende die Theologie der Freiheit von Thomas Pröpper auf die Kirche anwenden.

Breche Regeln

Zurück zum Vortrag: Die Technik verändere die Parameter dafür, wie Menschen sein können, glaubt Gottschalg. Und dabei seien die Macher aus dem Silicon-Valley schon im Ansatz frei von Moral. Move fast, break things (Mark Zuckerberg) sei dafür eine Maxime. Schnell und ohne Rücksicht fortschreiten, dazu passe auch die  Verachtung für hergebrachte Vorstellungen von Bildung. 

Mehr Angst als Gefahren

Benedikt Berger, Junior-Professor am Institut für Wirtschaftsinformatik der Uni Münster, verwies einerseits auf die in vielen Ländern feststellbaren Ängste um den Verlust von Arbeitsplätzen durch Künstliche Intelligenz. Dagegen stehen aktuelle Zahlen der OECD, nach denen es kaum signifikante negative Beschäftigungseffekte gebe. 

Berger holte auch teilweise überkandidelten Erwartungen auf den Teppich zurück. KI sei nicht kostenlos, daher nicht immer ökonomisch sinnvoll. Und beim Altern der Bevölkerung bleibe genug Arbeit. Zudem habe KI Lücken gegenüber dem Menschen: “Gesunder Menschenverstand ist für sie schwierig.” Der Mensch als Kontroll- und Entscheidungselement bleibe nötig.

Vermenschlichung der Geräte

Von einem lustigen Priesterseminar berichtete Anna Maria Riedl, Sozialethikerin der Uni Bonn. Da habe man sich von ChatGPT Predigten schreiben lassen. Auch in lateinischer Versform. Kein Wunder, dass bei solchen Fertigkeiten den Geräten menschliche Qualitäten zugesprochen würden. 

Riedl machte deutlich, dass künstliche eben keine menschliche Intelligenz ist. Sie schöpfe aus Datenbeständen, die selbst ungenügend sein können. Sie sei eine Art leistungsfähiger Papagei. Maschinen, die neuronal wie Menschen funktionieren, gebe es auch auf absehbare Zeit nur im  Science-Fiction. KI mache keine Erfahrung und habe keine Gefühle.

Technisches Paradigma

Gleichzeitig verändere sie die Wirklichkeit, das technische Paradigma beherrsche die Welt. Und nach den bekannten drei Kränkungen des Menschen durch die kopernikanische Wende (wir sind nicht der Mittelpunkt), die Evolutionstheorie Darwins (wir sind nur Tiere) und die psychologische durch Freud (das Unbewusste lenkt uns) komme die vierte Kränkung durch die KI (Maschinen denken).

Die Sozialethikerin setzte sich dafür ein, Regulative zu setzen. “Es muss immer deutlich werden, wo eine KI im Einsatz ist”, sagte sie. Und dazu gehöre auch eine eingehende Rechtsprechung. Auf den Vorhalt, man könne die technische Entwicklung nicht bremsen, meinte sie: “Bei chemischen Waffen war das möglich.”

Nächstes Jahr in… 

Nächstes Jahr trifft sich die Wirtschaftlergilde erstmal in der KSI Siegburg. Dort ist das Thema: Gemeinwohlorientierte Wirtschaft. Termin: 24.-26. Oktober. 

 

 

 

 

Foto: Bilder von der Tagung der Wirtschaftlergilde im Franz-Hitze-Haus

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