Fünfundzwanzig Jahre hat die zweite Plattform gehalten. Eine Ewigkeit in der Jugendverbandsarbeit. Ihre theologische Grundlegung stammte sogar aus den frühen Siebzigern. Auf der Bundeskonferenz 2019 stimmten die KSJ’lerInnen jetzt eine Neufassung des Grundsatzpapieres ab. Grund genug für einen Lokaltermin in Altenberg.
Eine bunte Mischung bevölkert den Kapitelsaal. Das Spektrum reicht von Fans von Feine Sahne Fischfilets bis zu Leuten, die einen Jesuits Hoddie tragen.
Manches ist wie früher. Es gibt einen Deko-Wettbewerb der diözesanen Delegationstische. Da gibt es „Berliner Nachtleben“ inkl. Spotlights und einer Matratze unterm Tisch, Fair-Handels-Tische oder Baguettes zum Kosten. Am besten gefällt mir die Mainzer Saunalandschaft. Diözesane Traditionen tragen sich durch: Die politischen Trierer*innen, die pfiffigen Leute aus RoStu und die Metropole macht auf Berliner Schnauze. Was glücklicherweise verloren gegangen zu sein scheint, sind nervige GO’s aus Köln. Dafür kann man sich im Buko-Café der Eichstätter bis spät in die Nacht verlustieren. Mein Ding.
Anderes dagegen ist neu und schlau. Statt einer Generaldebatte und den Antragsabstimmungen gibt es jetzt eine erste und zweite Lesung und dazwischen „Antragscafés“. Dort verhandeln kleine Runden über strittige Fragen und finden Lösungen. Bis tief in der letzten Nacht habe der federführende Plattschuss in einem Antragscafé mit Delegierten über Formulierungen geknobelt. Kenne ich. Was ich erfreut kennen lerne: Jetzt lässt sich der aktuelle Text für alle lässig aus der Buko-Cloud herunterladen.
Witzig ist, dass der vierjährige Diskussionsverlauf ziemlich genau die Plattformgenese der Neunziger wiederspiegelt. 2016 der Buko-Beschluss einer Neuformulierung, die nächste Buko kippt einen ersten Strukturierungsvorschlag und die Formulierungsarbeit beginnt von vorn. Die Plattform ist jetzt in 26 Thesen plus Erläuterungen gegliedert. Gezielt kann ich mir Aspekte herausgreifen, die Grundsätze und Prinzipien der KSJ-Arbeit, die katholischen und politischen Grundüberzeugungen und Ideale und was den Bundesverband eint. Den Abschluss bilden gesellschaftlichen Visionen. Als Anhang folgt ein Update der Bundesgeschichte.
Spannend war für mich zu beobachten, was intensiv debattiert wurde und wo eher in der Konfe-renz Konsens bestand. Die politischen und gesellschaftlichen Thesen gegen Ende hin erfuhren nicht viel Widerspruch. Einzig die These 11 „Wir stellen Macht grundsätzlich in Frage“ will eine Aachenerin ersetzt wissen durch „wir hinterfragen Macht“. Ist es nicht besser von „Machtstrukturen“ zu sprechen, kommt ein 2. Vorstoß. Beide Abschwächungen sind nicht mehrheitsfähig.
Konsequent wird eine starke Demokratie durchdekliniert; sowohl für Gesellschaft als auch Kirche. Der alte Grundsatz „Demokratie leben heißt Demokratie lernen“ (These 4) rockt weiterhin, ist in die nur auf den ersten Blick poetisch klingende Bemerkung gegossen: „Die demokratische Struktur ist nicht verhandelbar; sie ist in unseren Herzen und Satzungen verankert.“ Great. Am Vortag hatte die KSJ-Buko einen Unvereinbarkeitserklärung zur AfD hin beschlossen. „Die Struktur, der Glauben, das Menschenbild und die politische Vision der KSJ sind unvereinbar mit allem was die AfD vertritt. Anhänger der AfD und anderen rechten Parteien sind bei uns nicht will-kommen. Darüber hinaus setzen wir uns auf allen Ebenen aktiv gegen diese politischen Strömungen ein.“. Die Initiative kam aus Trier.
Mit großem Vergnügen höre ich, wie an alte Bildungspapiere „Mit uns die Sinnflut“ erinnert wird und die Quintessenz in die 6. These „KSJ wirkt an Schule“ einfließt. Als Echo auf FridaysForFuture wird die Bewahrung der Schöpfung stärker durchdekliniert. Eine klare Verurteilung der Fälle sexuellen Missbrauchs wird bei der nächsten These ergänzt.
Die heftigste Kontroverse gibt es in der ersten und zweiten Lesung über These 8: „Gott* ist in allen Dingen“. Einmal glasklar ignatianische Spiritualität. Grundtenor in Altenberg: Für alle KSJler*innen ist Gott nicht mehr der alte, weiße Mann mit Rauschebart. Gott stehe für etwas für viel Größeres, deshalb brauche das Gottesbild einen Stolperstein, eine Irritation, eine Provokation. „Stolpern“, erklärt einer, „heißt ja nicht auf die Fresse fliegen“.
Aber die Verwechselungsgefahr mit dem Gendersternchen ist für eine Minderheit eklatant. Und einer befürchtet – zu Unrecht – dass das Sternchen mit einem Fußnotenzeichen verwechselt werden würde.
Der punktuell anwesende Kontaktbischof Reinhard Hauke aus Erfurt plädiert dafür, durch ein goldenes Sternchen den lieben Gott etwas besonders zu kennzeichnen. Sein Rat an die Konferenz: „Seid tapfer und müht euch!“
Aus dem zwischenzeitlichen Antragscafé kommt schließlich der Vorschlag, zwischen Gottesstern und Unendlichkeitszeichen abzustimmen. Am 29. Dezember, 16:16 Uhr ist es dann so weit: Mit 53 Sternchen-Stimmen, 6 Voten für das Unendlich-Zeichen und 6 Enthaltungen ziert das Gottes-sternchen die These.
Aber war steht in den Erläuterungen? Es geht hin und her. Logo, das herkömmliche Gottesbild vom alten Mann mit Bart ist eindeutig gegendert. Aber: Gott kann man / lässt sich nicht gendern! Außerdem von Gott* ist schon viel früher als in These 8 die Rede. Müssen wir nicht überall erläuternde Fußnoten setzen? Formulierungen werden zu Anträgen, treffen auf widerspenstige Gegenargumente. Die kontroverse Minderheit aus Berlin und Hamburg findet keine Mehrheit und schmilzt. Um 16:48 ein GO auf sofortige Abstimmung der These samt Erläuterung. Große Mehrheit, eine Handvoll Gegenstimmen. Zwischenruf: „Wir hoffen, dass Gott* sich schnell durchsetzt.“
So viel Zeit muss sein, argumentiert neunzig Minuten später der Diözesanleiter aus RoStu und lässt vor der finalen Entscheidung die Beschlussfähigkeit überprüfen. Dann wird der Antrag verlesen: „Die Plattform wird gemäß der „Vorlage PLATTFORM“ im Anhang neu beschlossen. Sie ersetzt damit die bisherige PLATTFORM als Grundsatzprogramm der KSJ.“ Um 18:09 Uhr recken sich alle Hände in den Himmel. Nach vier Jahren Diskussion ist die Plattform neu beschlossen.
Whow, Respekt. Und etwas Wehmut packt mich.