Im Herbst 2019 verbrachte die ND-Gruppe Rhein-Neckar-Dreieck ihr Gruppenwochenende in der Nähe von Kaiserslautern. Am Sonntag desselben Wochenendes fand auf dem ehemaligen Landesgartenschaugelände in Kaiserslautern nach einigen Jahren Pause ein Katholikentag der Diözese statt. Die Gruppe betreute den ND-Stand vor Ort und konnte so einen sehr inspirierenden Tag mit vielen interessanten Begegnungen mit Katholikinnen aus der Gegend verbringen und den Start des Visionsprozesses der Diözese miterleben. Unter dem Motto „Segensorte“ wurden die Gläubigen der Diözese aufgefordert, sich über ihre Vision der Kirche im Bistum Speyer auszutauschen. Gemeinsam sollte geklärt werden, wie wir in Zukunft Kirche in der (Saar-)Pfalz sein wollen. „Das klingt spannend, da sollte man dabei sein“, war mein spontaner Gedanke an diesem schönen Herbstsonntag. Und dann kam Corona…
Zwei Jahre später, im November 2021, wollten wir beim Regionaltag unserer Region Südwest von Felix Goldinger, dem Referenten für missionarische Pastoral im Bistum Speyer und Geschäftsführer des Visionsprozesses wissen, wie der Prozess dann trotz Corona weiter durchgeführt wurde und vor allem, was denn dann das Ergebnis war.
Zunächst einmal war das Erschrecken über die Pandemie, die so vieles verändert hat, auch bei den Veranstaltern des Visionsprozesses groß. Mehrere Veranstaltungen im ganzen Bistum waren geplant worden, die erste hatte am 8. März mit großem Erfolg stattgefunden, und plötzlich war klar, dass es nicht möglich sein würde, weitere Austausche in diesem Format durchzuführen. Wie so viele Veranstaltungen, wurde auch der Visionsprozess dann vor allem digital fortgeführt. Immerhin gelang es trotzdem, von mehr als 4000 Menschen 262 Eingaben zu den folgenden Fragen zu erhalten: Was ist unsere Sendung und unser Auftrag in der Welt von heute? Was hat unser Dorf, unsere Stadt davon, dass es uns gibt? Wie wird Reich Gottes in unserem Bistum (mehr) Wirklichkeit?
In dieser ersten Phase des Visionsprozesses wurden auch Segensorte beschrieben: Orte, die schon jetzt für uns segensreich sind, Wunsch-Segensorte und „Orte“, die keine Adresse haben, sondern eine Gemeinschaft oder ein Gefühl beschreiben. Die Rückmeldungen sind noch heute im Internet auf einer interaktiven Karte abrufbar.
In der sich ab Herbst 2020 anschließenden Resonanzphase wurden die Eingaben gebündelt, ein erster Visionsentwurf entwickelt und dieser im Austausch mit verschiedenen Menschen geprüft und weiterentwickelt. Der überarbeitete Entwurf wurde im Spätsommer 2021 der Diözesanversammlung und Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann vorgestellt und schließlich Ende November beschlossen.
Die Vision besteht aus drei Teilen: einer zentralen Formulierung, dem Wertefundament und sechs Bildern, in denen die Segensorte-Vision entfaltet wird (siehe unten). Felix Goldinger erläuterte sehr anschaulich, welche Aspekte der Vision sich hinter den einzelnen Bildern verbergen. Er machte auch deutlich, wie bei der zentralen Formulierung um einzelne Worte gerungen wurde, da die Vision leicht verständlich sein sollte, aber auch „theologisch korrekt“. Ebenso wurden bei der Auswahl der Bilder Kleinigkeiten bedacht. So hatte die „offene Tür“ anfangs eine Schwelle. Diese wurde aber entfernt als Rückmeldungen zeigten, dass die Schwelle auch als Barriere verstanden werden kann, z. B. aus der Perspektive von Rollstuhlfahrerinnen. Deutlich wurde vor allem, dass im Rahmen der Vision sehr breit gedacht wird: Kirche ist nicht das Gebäude und nicht beschränkt auf den Sonntagsgottesdienst, die Messdienerstunde oder die Pfarrgemeinderatssitzung. Kirche ist überall dort, wo Menschen sich ein Segen sind. Auf der Internetseite des Bistums wird die Vision dementsprechend mit dem folgenden Satz zusammengefasst: „Wir wollen Segensorte gestalten“.
Die vorgestellte Vision – das zeigten die Rückmeldungen an Herrn Goldinger – hat die anwesenden ND-Mitglieder überzeugt. Einige fühlten sich auch an Strategieprozesse in ihrem Arbeitsumfeld erinnert. Und so war eine Frage, wie das Bistum nun von der Vision in die Umsetzung kommen möchte. Herr Goldinger erläuterte, dass sich ein Strategieprozess anschließen wird, der auch die Sparzwänge im Bistum berücksichtigen muss. Inzwischen ist dieser Prozess gestartet und soll bis zum April diesen Jahres abgeschlossen sein. Das Ziel des Strategieprozesses besteht laut Internetseite des Bistums darin, in einem nachhaltig ausgeglichenen Haushalt die pastoralen Schwerpunkte des Bistums zu bestimmen und umzusetzen. „Ausgehend von der Vision wollen wir jetzt eine konkrete Handlungsstrategie für unser Bistum entwickeln“, wird Generalvikar Andreas Sturm zitiert. Weiter heißt es: „Wir wollen möglichst viele auf eine gute Weise mitnehmen“, sagt Sturm, der die Beratungsgremien und Organisationen des Bistums ebenso wie die Gläubigen und die Mitarbeitenden des Bistums in den Strategieprozess einbinden will.
Genauso findet man auf den Seiten des Bistums im Internet auch Materialien und Arbeitshilfen für die Auseinandersetzung mit der Vision (auch die nachfolgenden Grafiken sind unter https://segensorte.bistum-speyer.de/vision/ zu finden). Man spürt deutlich, dass die Hauptamtlichen sich in diesem Prozess weniger als Anführer sehen, denn als Moderatoren.
Nach dem anregenden Vortrag und der Diskussion zum Visionsprozess im Bistum Speyer durften wir uns in der Kantine des Priesterseminars bei einem ausgezeichneten Mittagessen stärken. Entsprechend dem ND-Beschluss, dass Veranstaltungen möglichst klimafreundlich durchgeführt werden sollen, hatten wir für alle 25 Teilnehmenden ein vegetarisches Essen bestellt. Die gefüllten Paprika mit Reis und Tomatensauce haben augenscheinlich allen sehr gut geschmeckt!
Im Anschluss war Gelegenheit, in einem von zwei Arbeitskreisen noch tiefer in das Thema „Visionen von einer neuen Kirche“ einzutauchen.
Claudia Fischer, Gemeindereferentin im Bistum Speyer, war Ende 2016 Teilnehmerin einer Kundschafterreise im Rahmen der Vorbereitungsphase des Visionsprozesses. Sie durfte miterleben, wie in Nicaragua die seelsorgerische Arbeit gestaltet wird. Sie berichtete, dass diese Reise mit den vielen Begegnungen die „Reise ihres Lebens“ war. Die Kirche in Nicaragua versteht sich als „Kirche der Nachbarschaft“, die von regelmäßigen Begegnungen lebt und von geschulten und sehr kompetenten Laien geleitet wird. Nach dem Grundsatz „Sehen, urteilen, handeln“ gestalten die Gläubigen das Leben. Es geht darum, sensibel zu sein für die Bedürfnisse der Mitmenschen, im Licht des Glaubens zu erkennen, wo Unterstützung notwendig ist, und dann in allen Lebensbereichen konkrete Hilfe zu leisten. Wichtig dabei ist, dass Kirche sich an die Menschen wendet, die am Rand der Gesellschaft stehen.
Ein zentrales Element der Liturgie ist in Nicaragua das ‚Bibel teilen‘. Daher wurde auch im Rahmen des Arbeitskreises eine Bibelstelle gemeinsam gelesen und im gegenseitigen Austausch das Verständnis für die Botschaft vertieft– so wurde Gemeinschaft in Christus lebendig, ähnlich wie es Claudia Fischer in Nicaragua erlebt hatte.
Der andere Arbeitskreis mit Richard Link, Pastoralreferent im Erzbistum Freiburg, warf den Blick auf ein räumlich nicht ganz so weit entferntes Projekt – den Aufbau der „Kirche auf Franklin“. Auf dem Gelände der ehemaligen Franklin-Kaserne in Mannheim-Käfertal entstehen seit 2016 Wohnungen und Häuser. Bis 2026 sollen bis zu 10.000 Menschen hier ihren Wohnort haben. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche haben Projektstellen geschaffen, um die zuziehenden Menschen zu begleiten. Entscheidend dabei ist, dass Kirche verbindet. (Daher auch das gemeinsame ökumenische Projekt.) Kirche sucht, fördert und gestaltet das Gemeinsame. Sie nimmt Anteil und ermöglicht Beteiligung. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Kinderchor, der auf Franklin entstanden ist, weil Richard Link aus Gesprächen mit den Eltern von Kindergarten- und Schulkindern erfahren hatte, dass viele ein solches Angebot sehr schätzen würden und er auch eine Person kennengelernt hatte, die er als mögliche Chorleiterin ansprechen konnte. So konnte er die richtigen Menschen zusammenbringen.
Ein anderer Anspruch ist, dass Kirche immer unterwegs ist, unterwegs zu den Menschen. Ein Ausdruck hierfür ist der Bauwagen, der als „Begegnungsort und Büro“ für die beiden Hauptamtlichen dient und immer mal wieder an einem anderen Ort in der neu entstehenden Siedlung steht.
Nach den Erläuterungen zum Visionsprozess am Vormittag war es sehr spannend, anhand der konkreten Beispielen zu sehen, wie Kirche schon jetzt Segensorte gestaltet. Und so sind auch wir als ND-Mitglieder aufgefordert zu überlegen, wo und wie wir in Zukunft Segensorte gestalten können. Der Austausch mit den Referierenden und den anderen ND-Mitgliedern nach einer langen Zeit der „Corona-Abstinenz“ hat für uns Teilnehmende den Regionaltag auf jeden Fall zu einem Segensort gemacht!
Cordula Mock-Knoblauch