Eine Zukunft für Israelis und Palästinenser

Bertil Langenohl (58) ist katholischer Theologe und lebt seit 15 Jahren mit seiner israelischen Frau und zwei Kindern in Ramat Gan bei Tel Aviv. Beim ND-Kongress über Ostern in Paderborn wird er über den aktuellen Nahostkonflikt und dessen Hintergründe reden. Wir haben nach einem Vortrag in Ibbenbüren mit ihm gesprochen.

Wie sehen Sie den gegenwärtigen israelischen Krieg im Gazastreifen?

Langenohl: Nach dem Überfall im Oktober 2023 habe ich mir eingebildet – und ich glaube auch berechtigterweise -, dass es sich um einen Selbstverteidigungskrieg handelte. Heute bin ich der Meinung, dass der Krieg diesen Charakter nicht mehr hat. Deshalb bin ich desillusioniert.

Die israelische Regierungspolitik wird von Hardlinern geprägt. Haben Sie Hoffnung auf eine Trendwende?

Langenohl: In Bezug auf das gesellschaftliche Zusammenleben mit Palästinenserinnen und Palästinensern sehe ich im Augenblick keine Trendwende. Was die Regierungspolitik anbetrifft, schon gar nicht. Da mache ich mir Sorgen, dass es noch weiter in Richtung Demokratieabbau und Autokratie gehen wird. Die Unterstützung durch die USA ist für Israel wichtig. Und die weist jetzt im Grunde in die gleiche Richtung wie die politischen Visionen der Rechtsradikalen innerhalb der Regierung Netanyahu.

Das Prinzip Gleichheit

Die „Zweistaatenlösung“ sah in den 90ern vor, dass die Palästinenser 22 Prozent des ehemaligen britischen Mandatsgebietes zur Gründung eines eigenen Staates erhalten sollten. Heute lehnen Sie das ab?

Langenohl: Die Zweistaatenlösung von damals ist heute ungerecht, weil sie nicht auf dem Prinzip der Gleichheit beruht. Man kann heute einer Mehrheit von siebeneinhalb Millionen Araberinnen und Arabern zwischen Jordan und Mittelmeer nicht dasselbe anbieten wie in den neunziger Jahren, wo das demografische Verhältnis von Juden und Arabern ein ganz anderes war. Man muss komplett neu denken. Wir sollten vom Prinzip der Gleichheit ausgehen. Dieses Prinzip der Gleichheit politisch gewendet, würde in meinen Augen bedeuten, dass zunächst alle Bewohnerinnen und Bewohner des Landes mit derselben Staatsbürgerschaft ausgestattet werden. Und man sich anschließend darüber verständigt, wie Selbstbestimmung von Juden und Arabern regional auf der Basis von Gleichheit gestaltet werden kann. Ein föderales Modell.

Kann Israel das aus sich selbst heraus realisieren, oder braucht es Druck von außen?

Langenohl: Ganz wichtig sind die kleinen Ansätze innerhalb der israelischen Gesellschaft. Und wenn ich israelische Gesellschaft meine, dann meine ich eine Gesellschaft von Juden und Arabern. Es gibt dort Gruppen wie „Standing Together“, wo diese Utopie heute schon gelebt wird. Aber dafür, dass aus diesen kleinen Ansätzen innerhalb der Gesellschaft Größeres wachsen kann, braucht es auch massive Anreize von außen. Wir haben gesehen, dass ein Waffenstillstandsabkommen, ein Geiseldeal nur möglich war durch eine massive Intervention des damals designierten Präsidenten Trump. Ich glaube, solche Art von Interventionen von außen sind nötig, um Bemühungen innerhalb der israelischen Gesellschaft zu stützen. Solidarität mit dem Staat Israel angesichts des verheerenden Krieges, den seine Regierung in Gaza derzeit führen lässt, bedeutet Solidarität mit solchen Gruppen.

NETZWERK

ND - Christsein.heute

Der ND – Christsein.heute ist ein akademisch geprägter katholischer Verband mit 100-jähriger Tradition und einer Verbreitung im ganzen Bundesgebiet.