Die Domuhr war stehengeblieben, als heute Mittag in Paderborn der neue Erzbischof ausgerufen wurde. Die Zeiger ruhten auf einem relativ unverdächtigen Viertel nach Zwei, als Schlag Viertel vor zwölf das Geläut mit allem Bimbamborium einsetzte. Wenig später war das Geheimnis gelüftet: Dr. Udo Markus Bentz, 56, Weihbischof und Generalvikar in Mainz wird der fünfte Erzbischof von Paderborn. (2. von rechts)
Das Presseteam des Erzbistums hatte in der Ankündigung Erwartungen geschürt: „Seit dem 1. Oktober 2022 wartet das Erzbistum Paderborn auf einen neuen Erzbischof. 433 Tage sind inzwischen bis heute seit der Annahme des Rücktrittsgesuches von Erzbischof em. Hans-Josef Becker durch Papst Franziskus vergangen. Doch die Zeit des Wartens und des Gebetes hat sich gelohnt.“
Zwischen den Zeilen hatte bereits durchgeschimmert, dass es keinen lokalen Nachfolger geben würde. Für die Pressekonferenz im Anschluss (Foto) waren Dompropst Monsignore Joachim Göbel, Diözesanadministrator Monsignore Dr. Michael Bredeck sowie der neu ernannte Erzbischof von Paderborn als Gesprächspartner annonciert.
Ein Neuer
Und dies ist durchaus eine historische und spannungsreiche Zäsur. Nach „132 Jahren bischöflicher Eingewächsen“ merkte der machtbewusste Dompropst an, werde „die Sicht von außen uns als Bistum gut tun“. Das andere Narrativ: Statt sich zurückzulehnen, die Zeit zu einfach nur zu überbrücken, seien in der Vakanz eine „ganze Menge an Überlegungen und Entscheidungen vorbereitet“ worden. „Wie gehst Du mit? Wie willst Du dich einklinken?“, hätten die Anfragen aus der Paderborner Bistumsspitze gelautet, plauderte der designierte Erzbischof aus dem Nähkästchen der Vorgespräche.
In der Ansprache gab Bentz eine klare Antwort zu den pastoralen Perspektiven: „Darüber will ich viel hören und lernen. Es macht mir Mut wahrzunehmen, wie Sie hier gemeinsam Verantwortung wahrnehmen. Ich freue mich, gemeinsam mit Ihnen daran konkret weiterzuarbeiten.“ Ausdrücklich hatte er nicht nur dem Domkapitel von Paderborn, sondern auch den Frauen und Männern des Auswahlgremiums gedankt. Letztere hatte der Nuntius ja vom Auswahlverfahren ausgeschlossen. „Ich habe wahrgenommen, wie verantwortlich und geistlich Sie sich auf den Weg gemacht haben, nach einem neuen Bischof zu suchen“, kommentierte Bentz.
Die Veränderungsprozesse nehme er mit großer Freude und Dankbarkeit als geistlichen Weg wahr. Großen Respekt zollte Bentz Michael Bredeck, der die Zeit der Vakanz „nicht einfach nur überbrückt, sondern gestaltet hat“. Die Haltung, zunächst erst mal wahrnehmen, große Neugierde, das Bild einer lernenden Kirche durchzog die Ansprache im Dom, aber auch das Pressegespräch. Wahrnehmen und unterscheiden: Diese ignatianische Spiritualität blitze unaufdringlich auf. Spannend wird es zu beobachten sein, wenn Entscheidungen zu treffen sind.
Ein Realist
„Ich will die ganze Wirklichkeit des Erzbistums Paderborn wahrnehmen, annehmen, auch mit ihrer dunklen Seite. Auch das gehört zu uns. Und auch an dieser Wirklichkeit vorbei können wir nicht geistlich sein. Nur im Angesicht der ganzen Wirklichkeit können wir einen geistlichen Weg in die Zukunft finden.“ Mit der doppelten Akzentuierung der kompletten Wahrheit wich Bentz vom Manuskript ab.
Als später im Pressegespräch die Vorwürfe gegenüber den früheren Erzbischöfen Jaeger und Degenhardt zu Sprache kamen, meinte Bentz, jedes Bistum müsse seinen eigenen Weg der Aufarbeitung gehen. Aus Mainz, wo das Missbrauchsgutachten bereits veröffentlich sei, kenne er die „gesamte Wucht“. Er wisse zu wenig von der Paderborner Studie, die in Auftrag gegeben sei, um sich jetzt schon zu äußern. Gleichzeitig machte er aber deutlich, dass er im Dom bereits von Betroffenen angesprochen worden sei. Ausreichend Zeit werde er sich für diese Gespräche nehmen.
Eine gute Erinnerungskultur verstehe er nicht im Sinne von Abgeschlossen-sein, sondern vielmehr als prägend für die Gegenwart. „Kirche muss ein Raum sein, in dem Menschen gut und sicher leben können“.
Ein erfahrener Synodale
Die Nachfrage von der Tagespost parierte Bentz souverän. Papst Franziskus gebe viel Orientierung. Ausgehend von der Beobachtung, dass Synodalität auf vielfältige Weise in den unterschiedlichen Ortskirchen gelebt werde, verstehe er gut die „synodale Dynamik in Deutschland“. Das „Ringen und Suchen“ müsse man auszuhalten und dabei lernen. Keiner könne sagen, ‚ich habe den richtigen Weg‘. Bentz Stil ist, eigene Vorstellungen einzubringen, zu- und hinzuhören, und so Synodalität gemeinsam voranzubringen.
Ein Pfälzer
Im Dom, ungefähr in der Mitte der Ansprache, beginnt es zu menscheln. „Jetzt wird Sie vor allem interessieren, du lieber Himmel, wer kommt denn da nach Paderborn. … Da kommt ein Pfälzer – was auch immer das heißt – ein Pfälzer vom Rhein an die Quelle der Pader nach Westfalen. Ich hoffe, dass das gut geht!“ Gelächter und spontaner Beifall. Aber er wäre sehr zuversichtlich. „Mir geht es wie vielen Pfälzern: Ich hab Spaß an de‘ Leut“. Das kam pfälzerisch und richtig überzeugend rüber. Auch in der Pressekonferenz rutschte ihm ein „jetzt gucke mer mal“ raus. Das könnte was werden, auch wenn der alte Spruch sagt, man müsse mit den Westfalen erst einen Sack Salz gegessen haben.
Für ungewöhnliche Redewendungen, das zeigte der Einstieg, ist der designierte Erzbischof jedenfalls gut. Mir gefällt das. Er sei „von großer Herzlichkeit geflutet worden, einfach schön, das nehme ich wahr und verinnerliche es“, schilderte er das Willkommen in Westfalen. Aber gleichzeitig wisse er um die vielen Erwartungen. „Okay, da sind viele stimmige Erwartungen“, mit denen er sich intensiv auseinandergesetzt habe. Er komme aus einer „anderen Prägung“ und für ihn bedeute es eine „persönliche Zäsur“, die Zeit brauche. Und natürlich würde in einer pluralen Kirche und Gesellschaft jetzt Schubladen aufgeklappt, zugemacht und geschaut, ob er da rein passe. Sicher nicht in alle. Der Mann ist realistisch und reflektiert unterwegs.
Mich persönlich hat Bentz zwar nicht geflutet, wohl aber geflasht, weil beim nächtlichen Surfen auf der Erzbistumswebsite für ihn ein Zitat von Nelson Mandela mitentscheidend geworden ist: „Mögen deine Entscheidungen deine Hoffnung widerspiegeln, nicht deine Ängste. Dieses Wort gehört zu meiner Entscheidung für Paderborn dazu“, so Bentz. Könnte was werden. Ähnlich wie das Neujustieren der Turmuhr auf die Zeichen der Zeit.