Amüsiert beobachtend vom sicheren Straßenrand aus? Voll verkleidet mitten drin im Getümmel? Oder kopfschüttelnd über diese Narreteien? Wie schaut ihr auf Karnevalsumzüge, Galaprunksitzungen und Kamelle & Konfetti-Regen? Im Rheinland ist während dieser tollen Tage das alltägliche Leben scheinbar außer Kraft gesetzt. Ähnlich wie bei der schwäbisch-alemannische Fasnet und dem fränkischen Fasching.
Ein Seitenblick in eine närrische Diaspora. Der höchst ansteckende Gedanke ist längst ins nüchterne Westfalen, etwa ins Paderborner Land, rüber geschwappt, denke ich an die Karnevalshochburgen Scharmede, Delbrück oder Fürstenberg. Unglaublich viel Eigeninitiative und Kreativität steckt in den Kostümen, in den Sitzungen und den Mottowagen und strahlt aus den Karnevalisten. Für die Session in Salzkotten hatte die Kolpingjugend René Scherf zum Karnevalprinzen in Salzkotten ausgerufen. Die Sälzer Karnevalisten feiern unter dem Motto: „Hat Prinz Rene den Ring in der Hand, feiern die Hobbits im Heder-Auenland“. Was treibt ihn an? „Du gehst mit dem Elferrat gemeinsam eine tolle Zeit an, entwickelst Ideen, bist gemeinsam unterwegs und hast dabei unglaublich viel richtig Spass miteinander“, erzählt René der Erste. Dieser Tage zieht er im Hobbit-Kostüm von Event zu Event.
Der Karneval infizierte mich in meiner KSJ-Bundesleiterzeit. Das Bundesamt lag in Köln. Tulpendienstag schleppten mich die Kölner KSJ’ler:innen in die Eckkneipe in die Gabelsberger Straße. Ich neugierig, sie aufgekratzt. „Drink doch enen met, un kümmer disch net drüm“. Die Lieder ließen sich ziemlich schnell gut mitsingen. Etwa „En unserm En unserem Veedel“. Was auch geschieht / Das eine ist doch klar: / Das schönste, das wir haben / Schon all die langen Jahre / Ist unser Viertel / Denn hier hält man zusammen / Egal, was auch geschieht / In unserem Viertel“. Dieser soziale Gemeinsinn passte mental nicht nur in die fünfte Jahreszeit. Ich musste mich nur disziplinieren, darauf ein dreifach donnerndes Alaaf zu brüllen und versehentlich Helau. Da verstehen die kölschen Frohnaturen keinen Spass.
Plötzlich schlich sich zwischen die ganzen kölschen Mundartsongs „Das Lied vom Tod“. Meinten die Co-Leiter:innen zu mir: „Warte mal ab“. Um Mitternacht ging es vor die Tür. Mitten auf der Kreuzung Stolze- / Gabelsberger lag der „Nubbel“. Eine kostümierte Strohpuppe hatte seit Wieverfastelovend über dem Eingang gehangen. Der Kneipier des Boudoir hielt eine schön-schaurige Leichenrede. Für alle Widerfahrnisse seit dem schmotzigen Donnerstag sei der Nubbel schuld. Unser Refrain unisono: „Der Nubbel ist schuld!“
Nach einem kurzen Umzug ums Veedel wurde die Puppe verbrannt. Mehrere Kölsch-Längen später, der Aschermittwoch war schon längst angebrochen, tauchte der Kneipier mit Silbertablett mit einem Haufen erkaltete Asche auf. Auf Wunsch zeichnete er ein Kreuz auf die Stirn. Sicher etwas morbid und makaber, manch eineR empfindet diesen Mix von Karneval & Katholizismus vielleicht als abgeschmeckt.
Egal, was auch geschieht …, dachte ich. Und an die kölsche Weisheit: „Jede Jeck is anders!“ Was so viel bedeutet wie: Jeder Narr tickt anders. Übe Toleranz und Nachsicht dem anderen gegenüber, im Wissen um die eigene Unvollkommenheit. Gerade wir Bundesgeschwister bilden ja eine Ansammlung von höchst verschieden talentierten und vielfältig tickenden Charakterköpfen. Diese Gedankenfreiheit müssen wir uns erhalten auch jenseits von Weiberfastnacht und Tulpendienstag. In diesem Sinne: Ob völlig närrisch-fröhlich oder bodenständig-nüchtern: Eine vergnügliche & respektable Zeit.
Eine Antwort
Sehr schöner Bericht!