Dietmar Mieth: Aussendung

Am Samstag, den 21. September, ging ich in Augsburg am Domberg entlang. Aus dem Dom erklang Gesang. Ich ging hinein: Der Kirchenchor probte. Frauen legten „Reservierungen“ auf die Bänke. Ich sprach sie an. Vorbereitet wurde ein Gottesdienst zur „Aussendung“ der Laien, vor allem Frauen (Pastoralreferentinnen, Gemeindereferentinnen). Davon angeregt setzte ich mich in ein Café und schrieb auf, woran mich als Theologen das Thema „Aussendung“ erinnerte und was mich darüber hinaus besonders bewegte.

„Aussendung“

Es gab eine Zeit, da sandte Jesus seine Jünger aus und seine Jüngerinnen (Vgl. die Legende von Maria Magdalena)

Es gab eine Zeit, da sandte Paulus seine Boten aus mit sieben (echten) Briefen. Er revolutionierte nach seiner Christus-Begegnung den jüdischen Glauben und machte ihn den Griechen zugänglich.

Es gab eine Zeit, da sandte Franziskus seine deutschsprachigen Jünger über die Alpen – bis nach Erfurt (zum Beispiel).

Es gab eine Zeit, da ermunterten die Dominikaner die Beginen. Diese Frauen lernten Latein und unterrichteten Bürgertöchter darin. Viele vertieften mit Poesie den christlichen Glauben. Meister Eckhart empfahl den neuen Gemeinschaften und den Bürgern neues Denken.

Es gab eine Zeit, da lernten die Religionen miteinander Theo-logie von der griechischen Philosophie: Maimonides, der Jude, Averroes (oder Ibn Ruschd), der Araber, (beide in Spanien), Al Hikam, der Sufi-Meister in Kairo…

Es gab eine Zeit bis in das 20. Jahrhundert hinein: Da wohnten Muslime, Juden und Christen (Ost und West!) gemeinsam um einen Marktplatz. Um den Platz herum standen: die Moschee, die Synagoge und zwei Kirchen. Alle feierten miteinander auch die Feste der anderen Religionen.

Aber 1967, mit dem Präventiv-Krieg Israels gegen die sich ansammelten Angreifer an den Grenzen, senkte sich die Angst vor Rache in die Seelen der Juden und Christen und der Hass in die Seelen der Muslime – so wurden diese Plätze in Tunis, Tripolis umstanden von leeren Ruinen. (Ich sah den leeren Platz 2002 in der Unterstadt von Tunis. Von Tripolis hörte ich nur.)

Es gab eine Zeit, da war die Kirche eine demokratische Versammlung in einer Markthalle („Ecclesia“) der griechischen oder der römischen Stadt. Dann passte sie sich dem römischen Kaisertum („Kyrios“) an und ergänzte die Lehre des Paulus, z.B. mit dem religiös-sozialen Unterschied von Mann und Frau und mit abgehobenen Ämtern. Die Amtsträger vergaßen, dass sie auch „Laien“ sind, also das, was dieser Name ursprünglich besagt: Mitglieder des Volkes Gottes.

Wird es eine Zeit geben, die aus dieser Geschichte lernt? Kann man zu einem „Ursprung“ zurückkehren, gleichsam zum „Original“ des Aufbruchs, kann man zugleich aber auch den Sinn der Veränderungen in den späteren Zeiten anerkennen? Das würde bedeuten: die Geschichte im Sinne des Ursprungs neu gestalten und sie doch im Reigen der schönen Erzählungen von neuen Begegnungen und Erfahrungen zu belassen?

Man muss die Warnungen und Mahnungen verunglückter „Aussendungen“ – klerikal und kolonial – ernst nehmen, um ein neues Kapitel aufzuschlagen. Auch Gutes kann aus der zweideutigen Missions-Geschichte entstehen. „Seid auf das Gute bedacht.“ (Röm. 12,17)

Wir lesen viele Geschichten, die alte Zeiten verklären: biblische Geschichten, die Geschichten von Held-Innen und Heiligen, vom Triumph und von der Trauer, von den Tälern und Gipfeln, vom Leid und vom Trost, vom Erbarmen des Himmels und von der Drohung des Gerichts..

Es gibt viele Geschichten, mit denen wir unsere Feste feiern.

Im Denken verdunsten sie. Im Fühlen erheben sie uns und vernebeln uns zugleich.

Manchmal löst sich der Dunst und senkt sich der Nebel. Aber beides ist gut – sonst strahlt die Sonne zu heftig.

Dietmar Mieth

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