Corona – eine Anfrage

Der Inhalt dieses Beitrages entspricht der persönlichen Meinung des Autors.

Ein Kommentar von Kurt Schanné

Seit alten Zeiten gilt die Krone als Zeichen der Herrschaft. Zwar sind gekrönte Häupter eher selten geworden. Und selbst die Monarchinnen und Monarchen unserer Zeit tragen  ihre Krone nur noch zu seltenen und besonderen Anlässen. So z.B. Queen  Elizabeth, wenn sie ihre Rede vor dem britischen Parlament hält. Viele verzichten gänzlich darauf und ihr Kronschatz ruht in Tresoren und Museen.

Das lateinische Wort für Krone ist Corona. Nein, umgekehrt: das deutsche Wort für Corona ist Krone. Die Sprachwissenschaft spricht von einem Lehnwort.  Tatsächlich sind Kronen oder besonders wertvoll gearbeitete Kränze schon seit antiker Zeit in herrschaftlichem Gebrauch. In welcher Form sie auch immer gestaltet sind, künden sie von der besonderen Würde ihrer Trägerinnen und Träger.

Das Wort Corona bezeichnet jedoch nicht nur einen besonderen Herrschaftsschmuck, sondern ist heute zu einem Symbol für eine die ganze Menschheit bedrohende Gefahr geworden. Ein Virus mit dem vollen wissenschaftlichen Namen SARS-CoV-2 verbreitet sich von China über die ganze Welt und  zieht eine Spur des Todes . Es verursacht bei seinen „Wirten“  ein „Severe Acute Respiratory Syndrom“ (SARS), ein schwerwiegendes und akutes Atemwegssyndrom. Auf Grund der globalen Verflechtung hat es längst die Grenzen von Ländern und Kontinenten übersprungen und greift uns Schritt für Schritt alle an.

Betrachtet man dieses gerade einmal 100 Nanometer große Wesen, so versteht man sofort, warum die Wissenschaft zum metaphorischen Namen Corona gegriffen hat. Die Ausstülpungen des Virus erinnern tatsächlich an die Zacken einer Krone. Würde man für einen Moment von dem Schrecken abstrahieren, den dieses winzige Etwas auslöst, dann könnte man es für schön halten. Schön und gefährlich zugleich. Wie so vieles in der Natur.

Ehrfurcht vor dem Leben – ein dauernder Konflikt

Albert Schweitzer hat vor dem Hintergrund seiner damaligen Erfahrungen als Arzt in Afrika den Begriff der „Ehrfurcht vor dem Leben“ geprägt. Dieser Begriff und die damit verbundene Haltung inspiriert heute viele Menschen, die sich der ökologischen Wende verschrieben haben. Viele aber wissen nicht, dass Schweitzer zugleich die ganze Dramatik des Lebens in den Blick genommen. Er sieht in voller Schärfe, dass Lebewesen, von Viren bis hin zu Menschen, in einem dauernden Konflikt miteinander stehen. Ihm ist völlig bewusst, dass es in dieser Konstellation immer wieder zum Kampf kommen muss. Das eine Leben lebt vom und durch das andere. Aus diesem Kreislauf kommen wir nicht heraus. Um es noch zugespitzter zu sagen: Fressen und Gefressen-Werden ist unser Schicksal auf dieser Erde. Und natürlich ist es unser gutes Recht, in diesem dauernden Abwehrkampf unser Leben zu erhalten. Seit es den Menschen gibt, lebt er von anderem Leben, ob vom tierischen oder vom pflanzlichen. Und auch das Umgekehrte gilt. Es gibt kein Entkommen.

Konsum verdrängt Ehrfurcht

In der modernen Konsumgesellschaft haben wir uns angewöhnt, diesen elementaren Zusammenhang zu verdrängen. Sofern wir über die notwendigen Mittel verfügen, steht uns kulinarisch alles zu fast jedem Zeitpunkt zur Verfügung. Ein solches System funktioniert jedoch  nur auf der Basis einer hoch effizienten Landwirtschaft, die unter vollem Einsatz des gesamten agro-chemischen und neuerdings auch agro-biologischen Instrumentariums  alle Kleinstlebewesen auszumerzen sucht, die Pflanzen und Tieren gefährlich werden können. Nur so kommt es überhaupt zu den Erträgen, die wir heute in verarbeiteter und veredelter Form in den Supermärkten vorfinden. Wäre die Landwirtschaft nicht weltweit ständig an dieser „Front“ aktiv, würden wir in kürzester Zeit von Hunger und allen Folgeerscheinungen, die er mit sich bringt, bedroht sein. Die Gefahr des Viren- und Bakterienbefalls lauert überall. Viele dieser Wesen sind für Pflanzen, Tiere und Menschen völlig ungefährlich. Im Gegenteil, ohne ganz viele Bakterien, bspw. im Darm, könnten wir gar nicht leben. Sie leben mit uns in friedlicher Koexistenz. Nur manchmal wenden sie sich tödlich gegen uns.

Die sog. „Corona-Krise“ drückt damit in expliziter Form eine Gefahr aus, der wir ständig ausgesetzt sind. Die Natur, in der, mit der und von der wir leben und die wir selbst sind, ist kein Garten Eden, kein Paradies. Sie erscheint uns vielleicht so, weil es uns in vielen Bereichen scheinbar gelungen ist, sie zu „domestizieren“. Aber sie bleibt ein Ort der Gefahr. Wenn heute düstere Prophetien in Umlauf kommen, die Erde würde sich auf diese Weise von uns Schädlingen befreien wollen, dann ist dies in ethischer Hinsicht natürlich ein Zynismus. Tatsächlich aber ist aus der Ökosystem-Forschung vieles auf dieser Erde in Unordnung geraten. Insbesondere ist unser Verbrauch an natürlichen Ressourcen einschließlich der hieraus gewonnen Energie viel zu hoch. Wenn die gegenwärtigen Entwicklungen auf unsrem Planeten nicht massiv abgebremst werden, läuft die Erde auf eine Heiß- oder zumindest Warmzeit zu, die für alle Viren, Bakterien und viele sie übertragende Tiere weltweit ein wahres Fest sein dürfte. Grundsätzlich haben natürlich der Klimawandel und die Corona-Epidemie nichts miteinander zu tun. Aber beide sind auf verschiedene Weise  Ausdruck einer zu stark angewachsenen, gefräßigen Menschheit, deren Lebensstil insgesamt zu aufwändig ist. Und beide Phänomene verstärken sich  gegenseitig. Da verwundert es nicht wirklich, dass selbst kluge Menschen fragen, ob die Natur nicht beginnt, auf schreckliche Art und Weise zurückzuschlagen. Dieser Kassandra-Ruf muss erlaubt sein.

Die Botschaft der Corona-Krise

Damit sind wir bei der Frage, welche Botschaft diese Krise in sich trägt. Zunächst auf jeden Fall die, dass wir Menschen die Natur nicht beherrschen können, sondern uns allenfalls in ihr einrichten können. Das ist der ganze Sinn von Kultur im umfassenden Sinne. Eine solche Kultur verlangt Respekt gegenüber allen Lebewesen, gerade auch vor den gefahrbringenden.  Und sie verlangt mehr Distanz. Die Natur ist nicht nur für uns da, sondern hat ihr Recht in sich selbst. Wir müssen nicht nur Wege finden, sie nachhaltiger zu nutzen, sondern auch Wege, sie in Ruhe zu lassen. Der in Frankreich aufgekommene Spruch „Restez chez vous“ kann auch so gedeutet werden, dass wir bei uns bleiben sollen, dass wir innehalten sollen, dass wir vielleicht neu lernen müssen, allein mit uns zu sein. Ein weites Feld.

Sodann die weitere Botschaft: Gegen diesen neuen „Feind“ müssen wir alle zusammenstehen. Globale Krisen verlangen globale Antworten. Die Vorstellung, wir kämen als „westliche Welt“ mit blauem Auge davon und das Problem wäre erledigt, ist naiv – und gefährlich. Das Virus wird sich weltweit weiter verbreiten. Noch hat es die große Masse der Menschen in China, Indien und Afrika, die fast die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, nicht erreicht. Und von dort aus wird es, wenn es nicht global bekämpft wird, wieder auf uns zurückschlagen. Wie gesagt: es gibt aus dem Kreislauf der Natur kein Entkommen. Und ein Ausstieg aus der globalen Wirtschaft würde alle Länder dieser Erde, auch die hochentwickelten, weit zurückwerfen. Wir sind, wie es ein kluger Mensch dieser Tage gesagt hat, „verbunden in Verantwortung“. Das gilt für uns persönlich, für unsere Familien, für unser Land und für den Globus.

Fastenzeit 2020 – Kontakte fasten?

Christen begehen in diesen Tagen die Fastenzeit, genauer: die österliche Bußzeit. Als Motto steht über dieser Zeit der Ruf des Rabbi aus Nazareth, seine Botschaft: Denkt um, kehrt um! Er wollte die Menschen dazu bewegen, Gottes Weg zu suchen und zu gehen, den Weg der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit. In den biblischen Schriften hören wir, dass er sich gerade den Ärmsten, Schwächsten und Kranken in der damaligen Gesellschaft zugewandt hat und auch die Begegnung mit den Aussätzigen nicht scheute. Heute sprechen viele in unserer Gesellschaft von einer „Kontaktsperre“. Wir sollen uns im „social distancing“, genauer um „physical distancing“ üben. Alle wissen, dass dies auf die Dauer wider die Natur ist und auch unseren ethischen und christlichen Grundhaltungen nicht entspricht. Dennoch sind viele Menschen bereit, diesen Weg mitzugehen, um sich selbst und andere nicht unnötig zu gefährden. Wie lange kann das gut gehen? Wie lange ertragen es Menschen, selbst engste Angehörige, darunter Eltern und Kinder, nur am Telefon oder bestenfalls optisch-digital zu erleben. Was macht das alles mit uns? Was macht es mit denen, die alleine bleiben?

Auch die antike Gesellschaft kannte übrigens schon Wege, mit ansteckenden Krankheiten umzugehen. Die Aussätzigen wurden räumlich abgesondert. Wenn der Mann aus Nazareth sich ihnen trotzdem zuwandte, dann vor allem deswegen, weil er ihnen verdeutlichen wollte, dass sie nicht verloren sind, sondern dass es Menschen gibt, die trotzdem an sie denken, und dass sie in der Liebe Gottes aufgehoben sind.

Gott und die Pandemie

Und damit kommen wir zuletzt zu einem tief reichenden Problem, gerade für religiöse Menschen. Was hat dieses Virus eigentlich mit dem liebenden Gott zu tun? Kirchenvertreter beeilen sich in diesen Tagen festzustellen, dass es sich nicht um eine Strafe Gottes handelt. Vielmehr sei das Leid von Menschen Zeichen einer nicht vollkommenen, von der Sünde geprägten Welt und zugleich ein Appell an unsere Solidarität. Der erste Teil der Antwort überzeugt nicht ganz, denn was sollten die Sünden von Menschen mit dem Entstehen eines Virus zu tun haben? Diese Kausalität erscheint sehr gewagt. Der zweite Teil der Antwort leuchte eher ein. Das Evangelium der katholischen Liturgie des letzten Fastensonntags mit dem schönen Namen Laetare berichtete von der Heilung eines Blindgeborenen. Auf die Frage, wer gesündigt hat, dass dieser Mensch blind geboren ist, antwortet der Mann aus Nazareth: Niemand hat gesündigt, sondern an ihm sollen die Werke Gottes offenbar werden (Joh 9,3). Will heißen, gerade an Menschen, die mit Krankheit geschlagen sind, beweist sich Gottes Kraft und Zuwendung, und zwar in unserer Nächstenliebe und unserer Solidarität, und damit im Besten von uns. So provoziert das Übel und das Böse zugleich das Gute in uns. Ist das vielleicht der „Sinn“ dieser Plage?

Am Ende der christlichen Fastenzeit stehen die Kartage und das Osterfest, dieses Jahr wohl ohne feierliche gemeinsame Gottesdienste. Im Mittelpunkt steht wieder Jesus aus Nazareth. Römische Soldaten treiben ihren Spott mit ihm und setzen ihm eine Krone aus Dornen auf und sie rufen: Heil Dir, König der Juden (Joh 19, 1-3). Dieser Mensch trägt die Krone des Leids und der Schmerzen. Er geht mit ihr den Weg zum Tod am Kreuz. Er, von dem spätere Generationen sagen werden, er war Gottes Sohn, stirbt einen schändlichen, einen schrecklichen Tod. Damit nimmt er ganz und gar teil am Schicksal alles Irdischen. Aber der christliche Glaube beginnt genau da, wo die, die ihm gefolgt sind, erkennen. Dieser Mensch ist nicht im Tod geblieben, er lebt jetzt auf neue Weise, in Gott selbst. Diese Welt, so sehr wir sie auch in Zeiten von Corona menschlicher und solidarischer gestalten wollen und sollen, ist und bleibt eine vorläufige, auf der wir nach den Worten eines alten Kirchenlieds nur Gast sind. Er ist uns in die neue Welt vorausgegangen, in der kein Leid, kein Tod und keine Klage mehr sein wird (Offb 21,4). Oder, um mit der Überlieferung des Evangelisten Johannes zu schließen: In dieser Welt habt ihr Angst, doch seid getrost, ich habe die Welt überwunden (Joh 16,33).

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